
Der letzte Tanz des Vaslav Nijinsky
Fotografie, Installation, akustisches
Mini-Drama
2008, Lambda Prints auf Dibond-Alu (digitalisierte analoge Fotografie), je 62 x 62 cm
Edition: 5+1
"Der
Krieg im Kopf - Der letzte Tanz des Vaslav Nijinsky" oder
"Ich bin der Gott,
der stirbt, wenn er nicht geliebt wird."
Zitat: Vaslav Nijinsky aus Insel Taschenbuch 2248, Frankfurt am
Main und Leipzig, 1998
Martina Gasser - Fotografie,
Installation, Konzept, Drehbuch für akustisches Minidrama
Christoph Theiler - Aufnahme,
Mischung, Komposition (www.wechsel-strom.net)
Franz Schuster - Sprecher,
Modell
Vaslav Nijinsky - Text
Diese installative Arbeit wurde erstmalig im Rahmen des "Monats der
Fotografie Wien 2010" in der Masc Foundation (www.masc.at)
ausgestellt. Hier sind die Originalfotografien zu sehen, die in die
Installation eingebaut wurden.
Link zu den Texten und der Dokumentation der
Installation/Ausstellung.
Vorab:
Am 19. Jänner 1919 gab der
Ausnahmetänzer Vaslav Nijinsky in St. Moritz
in der Schweiz seine letzte Vorstellung. Der erst 28jährige Nijinsky
war bereits von
einer schweren Schizophrenieerkrankung gezeichnet und trat ein letztes
Mal vor ca.
200 Gästen im Schweizer "Hotel Suvretta" auf und schockierte und
verängstigte das Publikum. Nijinsky verharrte lange Zeit
bewegungslos auf einem Stuhl und fixierte das Publikum, dann sprang er
auf und tanzte mit den Worten "Jetzt werde ich euch den Krieg
tanzen, mit seinem Leid, seiner Zerstörung, seinem Tod" ein letztes
Mal.
Nijinsky tanzte brillant und erschreckend zugleich, stürzte immer
wieder und brach unvermittelt ab. Er selbst schrieb in
seinem Tagebuch über diesen Auftritt: "Ich war nervös, weil Gott
das Publikum erregen wollte. Das Publikum war gekommen, um sich
unterhalten zu lassen. Es glaubte, ich tanze, um zu unterhalten. Ich
habe schreckliche Sachen getanzt. Sie hatten Angst vor mir, und so
glaubten sie, ich wolle sie umbringen. Ich wollte niemanden umbringen.
Ich liebte alle, doch mich liebte keiner, und das machte mich nervös."
Die Fotoarbeit …
…
interpretiert den zur Unendlichkeit ausgedehnten Moment des Verharrens
auf dem Stuhl, den Moment der äußersten Anspannung im NICHT-Tanzen -
als Vorwegnahme von Nijinskys späterer Erstarrung in Katatonie - und
als subversiven Akt gegenüber den Begehrlichkeiten des Publikums.
Thematisiert
wird der innere Kampf der schon gespaltenen Persönlichkeit Nijinskys.
Das bedrohliche zweite ICH wird im Hintergrund als schwarzer Schatten
immer größer und beherrschender.
Nijinsky
war einer der ersten Tänzer, der in hautengen Kostümen auftrat und den
männlichen Körper im Tanz sexualisierte und somit veritable Skandale
verursachte. In Mallarmés Werk "Der Nachmittag eines Fauns", welches
von Debussy vertont und von Nijinsky 1912 choreographiert wurde, trat
Nijinsky in einem goldenen Kostüm auf. Das "Metallkostüm" der
Fotoarbeit steht symbolisch für dieses und ist auch als undurchlässiger
"Panzer" zu sehen, als Schutz und als eine Art Blendung des Publikums
durch
den Künstler.
Installation:
Der
Besucher betritt mit der Installation in gewissem Sinn das Innere von
Nijinskys Kopf, in welchem sich der "Krieg" gegen sich selbst und der
Nachhall der Schlachten des ersten Weltkrieges abbilden. Unterstützt
wird die Arbeit durch ein akustisches Minidrama, eine Collage aus
Nijinsky Zitaten, Schlachtenlärm und Kompositionen von Christoph
Theiler, die als musikalische Zitate auf Strawinskys "Sacre du
Printemps" verstanden werden können.
Nijinsky Tagebücher:
Nijinsky
beginnt seine Tagebücher kurz nach seinem letzten Auftritt in St.
Moritz. Innerhalb eines kurzen Zeitraums von wenigen Wochen schreibt er
in
einer Art Manie seine Gedanken, Gefühle, Erinnerungen und Betrachtungen
nieder. Die Aufzeichnungen enden mit der Einlieferung Nijinskys in eine
geschlossene Anstalt. Der Stil ist kurz, fast stakkatoartig, präzise
und verblüffend in seinen messerscharfen und originellen
Schlussfolgerungen. Eine ver-rückte Logik, der man sich schwer
entziehen kann.
Der Leser erlebt Nijinskys immer
größer werdende Ängste und Verunsicherungen. Er entfremdet sich
zunehmend seiner Familie und der ihn umgebenden Welt, die er als
bedrohlich und dumpf empfindet. Nijinsky transzendiert in diesen Wochen
zunehmend zu Gott und betrachtet sich selbst schließlich von außen. Auf
den letzten Seiten, als bereits klar ist, dass er einer Einlieferung in
eine psychiatrische Klinik nicht wird entgehen können, bittet Nijinsky
noch eindringlich um Verständnis und darum, vor ihm keine Angst zu
haben.
Text: Martina
Gasser 2010